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Pressemitteilung vom 1 .Juni 2005

ICE-Züge 2006 weder zum Zoo noch zum Ostbahnhof ?

DB kündigt das mit Bund und Senat abgestimmte "Pilzkonzept" einseitig auf, Fahrgastbelange und Berliner Stadtentwicklung werden den wirtschaftlichen Interessen der DB AG untergeordnet

"ICE hält 2006 nicht mehr am Bahnhof Zoo." Diese seit einigen Wochen heftig diskutierte Nachricht war richtig und zugleich falsch. Falsch ist, dass die Züge den Bahnhof Zoo ohne Halt durchfahren sollen. Richtig ist, dass sie dort nicht halten, weil sie ab dem 28. Mai 2006 gar nicht mehr über die Stadtbahn mit dem Bahnhof Zoo fahren sollen. Die DB will alle ICE durch den neuen Nord-Süd-Tunnel schicken. Die meisten in Berlin ankommenden ICE sollen nach dem Halt am unterirdischen Lehrter Bahnhof (künftig Hauptbahnhof) am Bahnhof Papestraße (künftig Südkreuz) enden, einige werden weiter nach Leipzig oder Dresden fahren. Auf der Stadtbahn sollen nur noch die sechs Fernzugpaare verbleiben: drei nach Amsterdam und drei nach Warschau.

Laue Proteste des Senats und Schweigen des Bundes. Der Berliner Fahrgastverband IGEB ist entsetzt, wie sehr sich die Politik von der bundeseigenen DB AG vorführen lässt. Denn die Auswirkungen der Bahnplanung für die Bahnreisenden und für die polyzentrale Stadtentwicklung Berlins werden gravierend sein und sind in ihrem vollen Ausmaß heute noch gar nicht abschätzbar. Nachfolgend eine erste Situationsanalyse aus Fahrgastsicht.

Warum plant die DB das?
Die DB hat sich mit dem neuen Hauptbahnhof und dem neuen Bahnhof Südkreuz finanziell schwer überhoben. Deshalb sollen diese nicht auch noch untergenutzt wirken. Vor allem aber sollen so viele Reisende wie irgend möglich dorthin gelenkt werden, damit sie dort einkaufen und auf diese Weise die Vermietung der Läden der DB einen maximal möglichen Ertrag bringt. Außerdem ist der Nord-Süd-Tunnel mit vier Gleisen überdimensioniert, so dass bei zu wenig Zügen die Erlöse aus den Trassenpreisen zu gering sind. Bei der Planung in den 90er Jahren gingen Bund, Senat und Bahn von erheblichen Fahrgastzuwächsen aus. Zwar gibt es im Berlin-Verkehr Fahrgastzuwächse, aber die DB wird aus finanziellen Gründen 2006 nach Eröffnung des viergleisigen Nord-Süd-Tunnels nicht mehr Fernzüge fahren lassen, als heute auf der zweigleisigen Stadtbahn verkehren. Da in den 90er Jahren außerdem ein Flughafenzubringer alle 15 Minuten vom Lehrter Bahnhof nach Schönefeld eingeplant worden war, wird es auch deshalb 2006 große unterausgelastete Gleiskapazitäten geben.

Was bedeutet das für die Fahrgäste? Mehr als 90% der Berliner Fernverkehrsreisenden müssen ab dem 28.5.2006 zum neuen Hauptbahnhof oder zum neuen Bahnhof Südkreuz fahren. Zu wenige werden in Spandau zusteigen können, weil dort weiterhin nur ein Teil der ICE-Züge hält. Beide neuen Fernbahnhöfe sind nur mit der S-Bahn und mit Regionalzügen gut erreichbar. Straßenbahn- und U-Bahn-Anschluss gibt es nicht. Mittelfristig soll zwar der Hauptbahnhof beides erhalten, aber 2006 wird es nur während der Fußballweltmeisterschaft die "Spielzeug-U-Bahn" U55 mit Zwei-Wagen-Zügen zum Brandenburger Tor geben. Ein regulärer Betrieb kann erst nach zwischenzeitlicher Stilllegung 2007 aufgenommen werden, und eine verkehrliche Bedeutung für Fernverkehrsreisende erhält diese Linie erst, wenn sie als U5 Richtung Alexanderplatz fährt - Planungsstand derzeit 2015. Die Straßenbahn vom Hauptbahnhof nach Prenzlauer Berg soll immerhin "schon" 2010 fahren, während die S21 (neue Nord-Süd-S-Bahn zum Hauptbahnhof) auf Jahre hinaus nicht einmal begonnen werden wird. Somit werden 2006 lediglich ein paar veränderte Buslinien wenigstens einige der Reisenden umsteigefrei zu den beiden neuen Fernbahnhöfen bringen - wenn sie nicht im Stau stecken bleiben.
Zusätzlich zu der für viele Berliner Fahrgäste unbequemen und Zeit kostenden Erreichbarkeit insbesondere des neuen Hauptbahnhofs kommen noch weite Wege innerhalb der Station hinzu. So müssen am Hauptbahnhof die oben mit der S-Bahn ankommenden Fahrgäste mit Gepäck mindestens 5 Minuten für ihren Weg zu den sehr tief liegenden unterirdischen Fernbahnsteigen einplanen. Zwar gibt es Aufzüge und Fahrtreppen, aber nicht durchgehend, denn die Fahrgäste sollen ja die Läden sehen und dort kaufen ...
Viele Reisende werden also 2006 trotz Fahrzeitverkürzungen im Fernverkehr durch eine verlängerte Anreise zum Zug insgesamt mehr Zeit benötigen als heute.

DB hat Vertrauen verspielt
Es ist unbestritten, dass die Bahn in großen Finanzproblemen steckt, für die die "große Politik" mit der Begünstigung von Auto und Flugzeug mitverantwortlich ist. Aber die Bahn selbst verschärft diese Probleme erheblich durch die angestrebte "Börsenfähigkeit". Verkehrliche Interessen der Kunden werden deshalb zurzeit fast immer den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens DB AG untergeordnet. Dieser Prioritätensetzung kann nur einer Einhalt gebieten: der Eigentümer. Bundesregierung und Bundestag müssen die Bahn endlich wieder auf das richtige Gleis setzen. Dazu gehört auch, dass Fernzüge in die City-West und die City-Ost fahren. Ein Jahrzehnt lang war diese Planung mit mehreren Halten in Berlin ("Pilzkonzept") zwischen Bund, Bahn und Senat Konsens und Grundlage für Milliarden-Investitionen öffentlicher und privater Gelder. Über Nacht fegt die Bahn nun dieses Konzept vom Tisch und stellt alle, vor allem ihre Kunden, vor vollendete Tatsachen. Damit diese Strategie auch aufgeht, hat die DB die Planungen möglichst lange geheim gehalten, obwohl die Überlegungen innerhalb der Bahn, wie jetzt zu hören ist, mindestens schon seit ein bis zwei Jahren in diese Richtung gehen. Das ist dreist. Damit hat die Bahn viel Vertrauen verspielt. Doch Besserung scheint noch nicht in Sicht. Großzügig bietet die Bahn jetzt als "Kompensation" an, morgens und abends einige ICE-Züge über die Stadtbahn fahren zu lassen - wohl wissend, dass sie das ohnehin tun muss, um die Züge ins Betriebswerk Rummelsburg fahren zu können.
Die DB hat sich bei den Verhandlungen zum S-Bahn-Verkehrsvertrag über den Berliner Senat aufgeregt - zu Recht. Jetzt ist das Verhalten der DB gegenüber Berlin leider nicht besser.

Was ist zu tun?
Bund, Senat und Bahn müssen sich umgehend zusammensetzen und nach Verbesserungsmöglichkeiten beim jetzt vorgelegten Bahnkonzept suchen - mit mehr Fernzügen auf der Stadtbahn. Unbeschadet dessen, wie viele Fernzüge auch künftig über die Stadtbahn fahren werden, muss dringend die Erreichbarkeit des neuen Hauptbahnhofes verbessert werden. Als Sofortmaßnahme

Christfried Tschepe
Vorsitzender

© Berliner Fahrgastverband IGEB e.V.