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Im Bus wird bezahlt wie im Taxi: pro Kilometer

11.07.2003

BVG plant neue Tarifstruktur - 1 000 Meter sollen20 Cent kosten / Abschied von der Umweltkarte
Das geplante Tarifsystem der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wird kurze Fahrten erheblich verbilligen. Nach Informationen der Berliner Zeitung könnte der Grundpreis für einen Kilometer 20 Cent betragen. Der billigste Fahrschein wäre dann schon für 60 oder 80 Cent zu haben - das würde für drei oder vier Kilometer reichen. Heute kostet eine solche Fahrt 1,20 oder 2,10 Euro - je nachdem, wie viele Haltestellen an der Strecke liegen. Die Umweltkarte aber, mit der man in einem Gebiet unbegrenzt oft fahren darf, soll es in dieser Form nicht mehr geben. "Der Grundsatz lautet: Jede Fahrt wird abgerechnet", sagt BVG-Tarifchef Tom Reinhold. Für Vielfahrer werde es Mengenrabatte und ein Bonussystem wie "Miles and More" geben. Großkunden erhalten auf Wunsch eine Abrechnung aller Fahrten - mit einer Telefonrechnung vergleichbar. Politiker loben diese Tarifstruktur, die ab Juni 2006 gelten soll. Bei den Grünen und dem Fahrgastverband IGEB stößt der Abschied von der Umweltkarte aber auf Kritik.

"Fahrten im Nahbereich sind bei uns abschreckend teuer", analysiert Tarifexperte Reinhold. "Auf langen Strecken, etwa zwischen Alexanderplatz und Hönow, verschenken wir dagegen Geld." Die BVG plane leistungsorientierte Preise. "Sie sind gerechter als das heutige System", sagt Reinhold. Wichtigster Faktor ist die Entfernung, gemessen anhand der Luftlinie vom Start zum Ziel. Kurze Strecken werden so billiger, lange teurer.

Die Computertechnik des elektronischen Tickets, das ab 2004 schrittweise eingeführt werden soll, lässt die Einrechnung weiterer Einflussgrößen zu. "Denkbar wäre es, nachts die Fahrten billiger zu machen - mit einer Art Blaue-Stunde-Tarif", kündigt der Planer an.

Ein dritter Preisfaktor könnte das Tempo des gewählten Verkehrsmittels sein. Wo ein Fahrgast die Wahl zwischen Bus und Expressbus hat, würde letzterer vielleicht 20 Prozent mehr kosten. Zudem wäre es wie bisher möglich, bestimmten Fahrgästen Preisnachlass zu gewähren, zum Beispiel Schülern, Studierenden oder Arbeitslosen - je nach staatlicher Ausgleichszahlung. Aus ihrem Hauptziel macht die BVG aber keinen Hehl: Sie will ihre Einnahmen erhöhen. Reinhold: "Das Tarifniveau in Berlin ist im Vergleich zu anderen Metropolen zu niedrig" - unterm Strich um 14 Prozent.

Während der Preis eines Fahrscheins für den Nahbereich um 17 Prozent über dem deutschen Durchschnitt liegt, ist ein Einzelticket ins Umland um 62 Prozent billiger als anderswo. Seit 1998 musste die BVG auf Druck des Senats zweimal auf Preiserhöhungen verzichten - das kostete sie mehrere Dutzend Millionen Euro zusätzlich.

"Die BVG will die Tarifergiebigkeit erhöhen. Angesichts ihrer finanziellen Lage ist das verständlich", sagt Christian Gaebler, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Die Umweltkarte sei betriebswirtschaftlich "nur schwer darstellbar": Für einen Fixpreis gebe es eine unbegrenzte Zahl von Beförderungsleistungen. "Außerdem regt sie die Nutzer an, möglichst oft mit dem Nahverkehr zu fahren, anstatt Rad zu fahren oder zu Fuß zu gehen. Das ist nicht im Sinne einer Verkehrsvermeidung." Der Einheitstarif ohne Differenzierungen benachteilige Innenstadtbewohner, die meist nur kurze Strecken zurücklegen, und bevorzuge die Menschen in den Außenbezirken oder im Umland: "Die alte Frau, die im Wedding zum Arzt fährt, subventioniert mit ihrem Fahrgeld den Rechtsanwalt, der von der Krummen Lanke ins KaDeWe reist - ungerecht." Gaeblers Fachkollege in der Brandenburger SPD-Fraktion, Reinhold Dellmann (SPD), findet das Bonussystem "ausgesprochen spannend". Es dürfe aber keinen Berliner Tarif-Alleingang geben.

Auch für Alexander Kaczmarek von der CDU ist die Umweltkarte "kein Dogma": "Es kommt auf die konkrete Gestaltung der Vielfahrerrabatte an." Der geplante Tarif gehe flexibel auf die Bedürfnisse der Fahrgäste ein. "Ein Kilometer-Ticket ist sinnvoll", sagt Klaus-Peter von Lüdeke (FDP). "Fahrscheine für den Nahbereich sind in Berlin so teuer wie in keiner anderen Stadt. Es ist richtig, dass das endlich geändert wird", meint Jutta Matuschek (PDS). Sie verlangt aber, die Investitionen genau zu überprüfen.

"Attraktiver geht es nicht"

Dem Vernehmen nach wird das elektronische Ticketsystem für Berlin 50 bis 100 Millionen Euro kosten. "Eine erhebliche Ausgabe", so die verkehrspolitische Sprecherin. "Ich glaube auch nicht, dass die Umweltkarte abgeschafft werden muss. Das ist ein Ticket, das nicht nur für die Kunden, sondern auch für den Verkehrsbetrieb einfach handhabbar ist."

"Es wäre unglaublich, wenn die BVG ein solch erfolgreiches Angebot abschaffen würde", sagt Claudia Hämmerling (Bündnis 90/Die Grünen). "Die Umweltkarte bindet viele Berliner an den Nahverkehr - darunter viele Menschen, die sonst Auto fahren würden." Auch der Fahrgastverband kritisiert die Idee. "Einmal zahlen, dann unbegrenzt oft im ganzen Netz fahren - kundenfreundlicher und attraktiver geht es nicht", sagt IGEB-Vize Christfried Tschepe. Bei Einzelabrechnung würden sich die Fahrgäste künftig überlegen, ob sie mit dem Bus oder doch lieber mit dem Auto fahren. Zudem sei das Ein- und Auschecken mit dem elektronischen Ticket zeitaufwändig. Tschepe: "Das Prinzip der Umweltkarte muss beibehalten werden."

Bezahlen // Einheitstarif: Wer ein Ticket für eine Fahrt innerhalb von Berlin lösen will, hat derzeit nur zwei Angebote zur Auswahl. Entweder den Kurzstreckentarif für maximal drei Bahnhöfe oder sechs Haltestellen für 1,20 Euro - oder den Einzelfahrschein für 2,10 Euro (ab 1. August: 2,20 Euro). Dafür darf man zwei Stunden im gesamten Netz fahren, egal ob von Biesdorf nach Kaulsdorf oder von Buch bis Wannsee.

Ungerecht - sagen Tarifplaner. Die vielen Fahrgäste, die wenige Kilometer zurücklegen, zahlen so viel wie in kaum einer anderen Stadt - was den Tarif abschreckend verteuere. Sie subventionieren so auch Langstreckenfahrer.

Das E-Ticket ermöglicht ein anderes Preissystem. Papiertickets werden durch Kunstoffkarten mit Chip ersetzt. Vor jeder Fahrt muss das Ticket vor ein Lesegerät gehalten werden - zum Einchecken. Am Ende der Fahrt dieselbe Prozedur,das Auschecken. Dabei berechnet ein Computer den Tarif.

Zwei Modelle sind möglich. Entweder lädt der Fahrgast die Karte an einem Automaten durch Geldzahlung auf und verfährt das Guthaben. Um ihn anzuregen, sich ordentlich auszuchecken, ist es möglich, dass beim Einchecken zunächst ein sehr hoher Betrag abgebucht wird, der später verrechnet wird. Oder der Kunde meldet sich an und erhält regelmäßig eine Abrechnung aller Fahrten.

"Das Prinzip der Umweltkarte muss beibehalten werden. " Christfried Tschepe, Fahrgastverband IGEB.

Autor/Agentur: Peter Neumann
Quelle: Berliner Zeitung
Medium: Tageszeitung
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