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Wenn der Zug plötzlich in die Irre fährt

11.11.2006

Koalition will Schlichtungsstelle für Nahverkehrs-Fahrgäste / Die BVG ist dafür, die S-Bahn dagegen
Ruppige Fahrscheinkontrolleure, verspätete oder zu frühe Abfahrten, verpasste Anschlüsse: Fahrgäste haben viele Gründe, auf die Verkehrsunternehmen sauer zu sein. Und nicht immer sind sie mit den Antworten, die sie auf ihre Beschwerden hin bekommen, zufrieden. In diesen Fällen sollen künftig auch die Berliner Nahverkehrskunden eine Schlichtungsstelle anrufen können - so wie es schon seit 2001 in Nordrhein-Westfalen möglich ist. Die SPD und die Linkspartei sehen in ihrer Koalitionsvereinbarung vor, dass eine solche Instanz eingerichtet wird. "Eine gute Sache", sagt Petra Reetz, Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Die S-Bahn sieht dagegen "keinen Bedarf".

Einige Regionalzüge sind klimatisiert, andere nicht, einige Bahnhöfe sind gut, andere spartanisch ausgestattet. Ein Merkmal trifft jedoch für alle Bereiche des Nahverkehrs zu: Als Massengeschäft gilt er als "nahezu verbraucherrechtsfreier Raum", schätzt die Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen ein. So verfügt die Eisenbahnverkehrsordnung, dass Fahrgäste bei Verspätung oder Ausfall ihres Zuges keinen Anspruch auf einen Ausgleich besitzen. Genauso wenig gibt es eine Sitzplatzgarantie.

Erfolgsquote: 57 Prozent

Eine Schlichtungsstelle kann die Rechtslage nicht ändern. Doch sie kann versuchen, bei Streit zu vermitteln und eine Lösung zu erreichen, mit der beide Seiten zufrieden sind. In Nordrhein-Westfalen lag die Erfolgsquote im vergangenen Jahr bei 57 Prozent - bei 2 506 Fällen. So bekam eine Rheinländerin den Fahrpreis zurück und einen Reisegutschein, nachdem ihre S-Bahn statt zum Ziel zum Ausgangsbahnhof zurückgefahren war.

Der Fahrgastverband IGEB hatte in Berlin als erster die Idee gehabt. "Wir unterstützen den Plan der Koalition", sagt Verbandsvize Jens Wieseke. Zwar gebe es bei der BVG, der S-Bahn und der Deutschen Bahn (DB) ein "Beschwerdemanagement", das auf Kritik antwortet. Aber oft hätten Fahrgäste das Gefühl, mit Standardsätzen abgespeist zu werden oder auf Desinteresse zu stoßen. Wieseke: "Kürzlich teilte DB Regio einem Kunden mit, dass er nicht jede Verspätung melden müsse" - es sei offenbar egal.

Betriebe sollen das Geld geben

In Nordrhein-Westfalen gehört die Schlichtungsstelle zur Verbraucherzentrale, sie hat fünf Beschäftigte und wird vom Land jährlich mit 240 000 Euro finanziert. Wie die Details in Berlin aussehen werden, ist noch ungewiss. Klar ist nur: Auch hier muss die Einrichtung neutral und von den Verkehrsunternehmen unabhängig sein und fachkundig besetzt werden. "Wir sind bereit, sie bei uns anzudocken", sagt Gabriele Francke, Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Berlin. Gabriele Mittag vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) entgegnet: "Sie könnte und sollte bei uns angesiedelt werden - weil wir in beiden Bundesländern verwurzelt sind."

Der Fahrgastverband regt an, dass die Verkehrsbetriebe das Geld geben sollen. Die Kosten sind nicht hoch, so Wieseke: "Wir reden über anderthalb bis zwei Stellen." Auch BVG, S-Bahn und DB profitieren, wenn ihre Kunden zufrieden gestellt werden. Dem stimmt die BVG-Sprecherin Petra Reetz zu: "Eine neutrale Instanz ist besser dazu in der Lage, Streit auch wirklich zu beenden." Die S-Bahn verweist dagegen auf ihr Beschwerdemanagement. "Eine Schlichtungsstelle wird nicht gebraucht", hieß es dort. "Sie kostet nur zusätzliches Geld."

Autor/Agentur: Peter Neumann
Quelle: Berliner Zeitung
Medium: Tageszeitung
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