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"Egotrip kostet bis zu 40 Millionen Euro"

29.11.2006

Der Streit zwischen Bahnchef Mehdorn und dem Planer des Berliner Hauptbahnhofs eskaliert. Mehdorn will gegen das Gerichtsurteil kämpfen: Der "Egotrip" koste den Konzern bis zu 40 Millionen, die Bahnkunden müssten jahrelang leiden. Stimmt nicht, sagen die Stararchitekten.
Berlin - "Wir haben einen Bahnhof bestellt und keine Kathedrale", sagte Bahnchef Hartmut Mehdorn der "Bild"-Zeitung. "Dass ein Architekt bestimmen kann, welche Konstruktion der Bauherr und Eigentümer wählen muss, kann doch nur Kopfschütteln auslösen."

Er werde gegen das Gerichtsurteil zum Baustreit um den Berliner Hauptbahnhof kämpfen, sagte Mehdorn. "Für diesen Egotrip müssen nun bis zu 40 Millionen Euro aufgewendet werden, mal abgesehen von jahrelangen Beeinträchtigungen des Zugverkehrs", sagte Mehdorn. Kunden, Mitarbeiter und indirekt die Steuerzahler müssten dafür nun die Zeche bezahlen. "Wir werden bis zur letzten Instanz versuchen, unsere Rechtsauffassung durchzusetzen."

Bei der Deutschen Bahn wird der drohende Umbau in düsteren Farben geschildert: "Auf dem Berliner Hauptbahnhof verkehren täglich 300.000 Reisende in 1100 Zügen", sagte Sprecher Norbert Giersdorff, "natürlich gäbe es bei Umbaumaßnahmen in dieser Dimension enorme Einschränkungen." Brandschutz und Fluchtwege müssten auch in der Umbauphase gewährleistet bleiben, mehrere Gleise zeitweilig vom Betrieb abgekoppelt werden. "Wir reden hier nicht über ein Einfamilienhaus", so Giersdorff.

Als Bauzeit seien volle drei Jahre veranschlagt worden, vor allem deshalb, weil bestimmte Bauabschnitte nicht während der Stoßzeiten, sondern vorwiegend nachts und an den Wochenenden durchgeführt werden sollen. Eine Machbarkeitsstudie der Bahn habe Kosten in Höhe von 40 Millionen Euro für den Deckenumbau errechnet.

Architektenkammer: Berechnung der Bahn "unseriös"

"Das ist natürlich völliger Unsinn", sagt Jürgen Hillmer, Partner des verantwortlichen Architekten Meinhard von Gerkan. Es sei möglich, den umstrittenen Umbau "Schritt für Schritt durchzuführen, ohne dass es zu größeren Beeinträchtigungen für die Reisenden kommt."

Auch die Kosten seien bei weitem nicht so hoch wie von der Bahn veranschlagt, so Hillmer. "Wir haben das zwar noch nicht im Detail durchgerechnet, aber es kostet definitiv weniger." Außerdem seien die unteren Gleise derzeit bei weitem nicht ausgelastet. "Das Einzige, was sich während der Umbauphase für die Reisegäste ändert, ist die Nummer des Bahnsteigs", so Hillmer. Die Bahn dramatisiere Kosten, Umfang und Dauer der Arbeiten bewusst. Auch die Bundesarchitektenkammer kritisierte die von der Bahn veranschlagten Umbaukosten. Die Summe von 40 Millionen Euro sei "unseriös".

Die Entscheidung vom Dienstag hat der Deutschen Bahn eine empfindliche Schlappe beschert: Das Berliner Landgericht hat den Konzern dazu verurteilt, die flache Decke des unteren Stockwerks des Hauptbahnhofs durch den ursprünglich vorgesehenen Entwurf des Architekten Meinhard von Gerkan zu ersetzen.

Schon früher Ärger zwischen Bauherr und Architekt

Noch ist die Entscheidung allerdings nicht rechtskräftig, da die Bahn Rechtsmittel einlegen wird, sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Sollte das Urteil Bestand haben, wird nach dem Umbau statt der nüchternen Flachdecke eine lichtere Gewölbekonstruktion über den Gleisen der Nord-Süd-Achse des Bahnhofs schweben. Insgesamt müssten rund 30.000 Quadratmeter ausgetauscht werden.

Das Prestigeprojekt der Bahn hat schon früher für Ärger zwischen Bauherr und Architekt gesorgt. Die gläserne Konstruktion über den oberen Bahnsteigen etwa wurde von der Bahn aus Kostengründen kurzerhand um knapp ein Drittel gekürzt. Von Gerkan hat damals zähneknirschend an den Änderungen mitgearbeitet, was ihm heute das Recht versagt, auch gegen diesen Eingriff in seinen Entwurf zu klagen.

Insgesamt rund 700 Millionen Euro soll der Bau des Hauptbahnhofes nach Expertenschätzung verschlungen haben. Genaue Angaben zu den Kosten verweigert die Bahn, verweist jedoch darauf, dass der Konzern "in den letzten 15 Jahren zehn Milliarden für Baumaßnahmen in Berlin investiert hat", sagte Sprecher Giersdorff. Sollte das Urteil des Landgerichts Bestand haben, dürften noch einige Millionen hinzu kommen.

"Verhalten der Bahn ist nicht hinnehmbar"

Der Bund Deutscher Architekten sieht in dem Urteil ein positives Signal für die Branche. "Wir denken nicht, dass es ein Einzelfall ist", sagte Sprecher Olaf Bahner. Die Entscheidung habe gezeigt, dass ein Bauherr nicht eigenmächtig Pläne ändern dürfe, sondern dies in Absprache mit dem Architekten tun müsse. Der Hauptbahnhof sei ein "Jahrhundertbauwerk" und eine "Visitenkarte" der Stadt. Durch die Flachdecke sei "die ganze Raumwirkung des Gebäudes völlig zerstört".

Planer Meinhard von Gerkan zeigte sich erleichtert von der Gerichtsentscheidung. Das Urteil sei ein "Sieg für die Baukultur". Er habe auch deshalb "gegen den Goliath Deutsche Bahn geklagt, um meine Verantwortung als Architekt gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen", sagte von Gerkan der "Berliner Morgenpost". Schließlich handele es sich um ein öffentliches Gebäude. "Angesichts des internationalen Ranges dieses Bauwerks ist das Verhalten der Bahn einfach nicht hinnehmbar."

Der Berliner Fahrgastverband attackiert die Deutsche Bahn ebenfalls hart: "Staub, Lärm, Maschinen - hier wird eine Fehlentscheidung der Bahn zu Lasten der Reisenden ausgetragen", sagt Vorstandsmitglied Jens Wieseke. Man könne nur hoffen, so Wieseke, "dass die Einschränkungen für die Reisenden nicht zu gravierend werden." Er habe wenig Verständnis für die Entscheidung der Bahn, von Gerkans Entwurf aus Kostengründen im Alleingang zu verändern. "Das ist kein Vorstadtbahnhof, sondern ein Vorzeigeprojekt der Hauptstadt", so Wieseke. "Wenn jemand für dieses Debakel verantwortlich ist, dann die Deutsche Bahn."

Autor/Agentur: Jens Todt
Quelle: SPIEGEL ONLINE
Medium: Wochenzeitung
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