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Festgefahren

13.03.2019

Keine Einigung in Sicht beim Tarifstreit der BVG
Der Warnstreik im Busverkehr stößt auf heftige Kritik. „Er trifft die Einkommensschwächsten“, sagte Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB. „Die Abgehängten der Gesellschaft werden auch noch vom Nahverkehr abgehängt.“ Wohngebiete mit vielen Sozialbauten wie das Kosmosviertel in Altglienicke oder das Falkenhagener Feld in Spandau hätten keinen Bahnanschluss. Wer dort lebt, sei oft auf Busse angewiesen – die aber an diesem Donnerstag von 3.30 bis 22 Uhr in ganz Berlin nicht fahren. Auch Claudia Pfeiffer, Chefin des Kommunalen Arbeitgeberverbands (KAV) Berlin, kritisierte die Gewerkschaft Verdi. „Der neue Streik ist aus meiner Sicht unangebracht“, sagte sie. „Die Kräfte sollten lieber am Verhandlungstisch eingesetzt werden, statt die Berlinerinnen und Berliner erneut zu belasten.“

BVG will bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen

Am Mittwoch gab es noch eine andere Nachricht – von der AOK, einer Institution, die normalerweise nicht mit dem Nahverkehr in Verbindung gebracht wird. Die Meldung passt aber zu dem Warnstreik, zu dem Verdi außer den 360 Beschäftigten in den Buswerkstätten auch die 1400 Busfahrer der BVG aufruft.

Nach der jüngsten Fehlzeitenanalyse der Krankenkasse gehören Bus- und Straßenbahnfahrer zu den Berufen mit dem höchsten Krankenstand in Berlin. 2018 fehlten sie durchschnittlich 41 Tage. DerSchnitt der Berliner AOK-Mitglieder beträgt 18,6 Arbeitsunfähigkeitstage. „Je höher die Belastung, umso mehr Fehltage“, so die Warnung der Gesundheitsexperten.

In dem Tarifkonflikt, der seit dem vergangenen Dezember bei der BVG schwelt, möchte die Gewerkschaft vor allem bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen – in Gestalt einer Verringerung der Wochenarbeitszeit auf 36,5 Stunden für alle Mitarbeiter, die derzeit 39 Stunden arbeiten.

Arbeitgeber wollen „Anpassung“ - zuungunsten der Fahrer der BVG

Doch hier zeichnet sich keine Einigung ab, weshalb die Gefahr weiterer Warnstreiks nicht gebannt ist. Ganz im Gegenteil: Die BVG machte erneut klar, dass sie den Wunsch auf keinen Fall erfüllen will. „Über die Forderung nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit Lohnausgleich können wir nicht verhandeln – aus Verantwortung für unser Unternehmen und für diese Stadt“, sagte BVG-Sprecherin Petra Nelken. „Wir müssten zusätzlich zu den 1 300 Beschäftigten, die wir 2019 einstellen wollen, weitere 525 Fahrer gewinnen. Das ist angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht umsetzbar. Folge wäre, dass wir unser Angebot für die Fahrgäste einschränken müssten. Das wollen wir nicht.“

Die Arbeitgeber wollen eine „Anpassung“ von Arbeitsbedingungen – zuungunsten der Fahrer. Das BVG-Tochterunternehmen Berlin Transport ließ darin verankern, dass die maximale tägliche Arbeitszeit der Fahrer von 8,5 auf neun Stunden steigen soll. Gewünscht wird auch, die Mindestruhezeit zwischen den Schichten von elf auf zehn Stunden zu verkürzen. Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit erhalten, freiwillig 45 Stunden pro Woche zu arbeiten – bei betrieblichen Engpässen, im Schienenersatzverkehr, in Projekten.

Löhne und Gehälter von BVG und BT sollen steigen

„Die Arbeitgeber fordern weitere Belastungen und eine weitere Arbeitsverdichtung“, entgegnete Jeremy Arndt von der Gewerkschaft Verdi. „Das können wir nicht hinnehmen.“ Der Arbeitgeber BVG will jedoch auf andere Weise attraktiver werden. So sollen Schweißer, Gleisbauer, Berufsausbilder, Ingenieure und Computerspezialisten in der Entgelttabelle höher eingruppiert werden. Aber nicht nur für diese Berufe, in denen die Gewinnung neuer Mitarbeiter immer schwieriger wird, soll die Bezahlung besser werden.

Rückwirkend vom 1. Januar 2019 an sollen die Löhne und Gehälter für alle rund 14.600 Beschäftigten von BVG und BT steigen – in den unteren Entgeltgruppen um elf Prozent, in den oberen um sieben Prozent. Der Tarifvertrag soll bis Ende 2020 gelten. „Unser Angebot führt zu Entgeltsteigerungen für Fahrer um rund 240 Euro monatlich und für Handwerker um zirka 284 Euro“, so Pfeiffer. Sie bezog sich auf die Einstiegslöhne für Anfänger. „Damit wird die BVG nachhaltig konkurrenzfähig im Vergleich zu Nahverkehrsunternehmen in Brandenburg, Bayern und Hamburg.“ Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit sollen Fahrer zwischen 14,19 und 15,67 Euro pro Stunde erhalten. „Das ist viel für eine Anlerntätigkeit“, hieß es in BVG-Kreisen.

Diese Buslinien fahren trotz Warnstreik der BVG

Die Arbeitgeberseite müsse ernsthaften Willen zeigen, an einer Lösung zu arbeiten, sagte Jeremy Arndt. „Wir erwarten, dass die Arbeitgeberforderungen, die deutliche Verschlechterungen enthalten, zurückgenommen werden und ein verhandlungsfähiger Vorschlag unterbreitet wird, der auch Hand und Fuß hat.“ Sonst würden weitere Kollegen weggehen, weil sie es woanders besser haben. BVG-Sprecherin Nelken warnte jedoch vor einer Dramatisierung: „Es ist richtig, dass die Fluktuationsrate bei der BVG von 0,4 auf rund drei Prozent gestiegen ist. Wenn wir uns aber mit anderen Verkehrsbetrieben vergleichen, sehen wir, dass dies ein normaler Wert ist.“

18,5 Stunden lang werden an diesem Donnerstag keine Busse fahren. Bestreikt wird auch der Schienenersatzverkehr für die Straßenbahnlinien M4 und M13. Die Ersatzverkehre für die U-Bahn-Linien U1, U8 und U9 werden am Abend verspätet beginnen, hieß es. „Die S-Bahn setzt keine BVG-Busse im Ersatzverkehr ein, er ist nicht betroffen“, sagte S-Bahn-Sprecherin Sandra Spieker.

Die Busrouten, die von Auftragnehmern der BVG befahren werden, bleiben ebenfalls in Betrieb. Dabei handelt es sich um die Linien 106, 161, 162, 163, 168, 175, 179, 218, 234, 263, 275, 284, 320, 322, 334, 341, 349, 363, 365, 371, 373, 380, 390 und 399. Folgende Buslinien fahren mit leichten Einschränkungen: 112, 140, 184, 283, 370 und 893. Zum Flughafen Tegel richtet die Flughafengesellschaft wieder einen „Not-Shuttle-Verkehr“ mit vier gecharterten Reisebussen ein – diesmal vom U-Bahnhof Jakob-Kaiser-Platz. Wer will, kann auch laufen, rät ein offizielles Flugblatt. Errechnete Laufzeit für die 2,4 Kilometer: 31 Minuten.

Autor/Agentur: Peter Neumann
Quelle: Berliner Zeitung
Medium: Tageszeitung
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