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U-Bahn in Berlin: So will die BVG aus der Krise fahren

23.01.2019

Eine Ausgabenoffensive soll die Betriebsprobleme kurzfristig beheben. Die Taktzeiten bei einigen U-Bahnlinien werden verlängert.
Berlin. Mehr Personal, mehr Züge, mehr Investitionen: Mit einer Ausgabenoffensive wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihre schwächelnde U-Bahn aus der Krise fahren. Doch auch Sofortmaßnahmen sind geplant. So werden bereits ab 4. Februar auf zwei Linien, der U6 und der U9 die Taktzeiten im Berufsverkehr geringfügig verlängert – von viereinhalb auf fünf Minuten. Anfang März folgt die U7. Mit den eingesparten Zügen will die BVG Reserven schaffen, die etwa bei kurzfristigen Schäden an einem anderen der vielfach altersschwachen Züge zum Einsatz kommen. Damit soll die Zahl der Ausfälle verringert werden.

Dieses Konzept hat BVG-Chefin Sigrid Nikutta am Dienstag den Abgeordneten von SPD und Grünen vorgestellt. Speziell führende SPD-Politiker, allen voran Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, hatten die BVG-Führung wegen der zunehmenden Zahl von Ausfällen und Verspätungen nicht nur bei der U-Bahn scharf kritisiert – und dies zugleich für eine politische Attacke auf den Koalitionspartner genutzt. Tragen doch die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) als BVG-Aufsichtsratsvorsitzende und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) derzeit die fachliche Verantwortung für die landeseigenen Verkehrsbetriebe.

Kern des BVG-Konzepts ist eine deutliche Aufstockung beim Personal. So will das Unternehmen noch in diesem Jahr 1100 Mitarbeiter neu einstellen, darunter allein 720 Mitarbeiter für den Fahrdienst sowie 113 Spezialisten für die Werkstätten. Damit würde die Beschäftigtenzahl bei der BVG erstmals seit vielen Jahren wieder auf über 15.000 steigen. Welche Kosten damit verbunden sind, blieb offen.

Fehlende Fahrer gelten als eine Hauptursache für die aktuellen Angebotsmängel. Wobei die U-Bahn – zumindest auf dem Papier – noch immer das pünktlichste öffentliche Verkehrsmittel der Stadt ist. Laut Nikutta sind im Vorjahr 98,4 Prozent aller Züge ohne Verspätung gefahren. Die Quote sei damit nur geringfügig schlechter als 2017. Wobei die BVG eine Zugfahrt erst mit 210 Sekunden Abweichung vom Fahrplan als verspätet wertet.

Zum Vergleich: Bei der Straßenbahn waren 90,1 Prozent der Züge pünktlich (2017: 91 Prozent), die Busse fuhren zu 86,6 Prozent ohne Verspätung (2017: 87,2 Prozent). Nicht berücksichtigt sind in der Quote jedoch die Zugausfälle. Doch auch da widersprechen die offiziellen BVG-Zahlen dem Alltagsgefühl vieler U-Bahnnutzer. Nach Unternehmensangaben sind 2018 nur zwei Prozent aller U-Bahnfahrten ausgefallen. „98 Prozent Zuverlässigkeit ist noch immer ein sehr ordentliches Niveau für eine Großstadt“, so Nikutta.

Die angekündigten Maßnahmen der BVG im Überblick

Verkehrsbetriebe leiden unter einem hohen Krankenstand

Aktuell werden von der BVG 6670 Fahrer von Bussen und Bahnen beschäftigt – 143 mehr als der errechnete Bedarf. Allerdings leiden die Verkehrsbetriebe unter einem überdurchschnittlich hohen Krankenstand. Der lag im Vorjahr bei den älteren Kollegen im Schnitt zwischen 10,3 (Straßenbahn) und 11,1 Prozent (U-Bahn), von den jüngeren, nach 2005 eingestellten Mitarbeitern fielen zwischen 9,4 Prozent (U-Bahn) und 12,8 Prozent (Bus) wegen Krankheit aus. Eingeplant hatte die BVG aber nur Krankheitsausfälle zwischen 6,2 und 9,2 Prozent.

Nach Auffassung von BVG-Personalvertretern ist der Krankenstand auch ein Ausdruck des hohen Drucks, den die Mitarbeiter täglich erleben. Auch Fahrer der U-Bahn würden unter den Ausfällen und den dann oft überfüllten Folgezügen leiden und seien immer öfter aggressiven Beschimpfungen von Fahrgästen ausgesetzt. Ähnlich äußerte sich auch die Fraktion der Grünen auf Twitter.

Der Berliner Fahrgastverband Igeb begrüßte den Vorstoß. „Es wurde auch allerhöchste Zeit“, sagte Igeb-Sprecher Jens Wieseke. Er sei allerdings skeptisch, ob bei der Arbeitsmarktlage tatsächlich 1100 neue Mitarbeiter noch in diesem Jahr gewonnen werden können.

BVG-Aufsichtratschefin Ramona Pop sagte zur Anhörung in der SPD-Fraktion: „Ich erwarte, dass es nicht nur bei markigen Sprüchen bleibt, sondern dass die SPD bereit ist, mit uns gemeinsam den ÖPNV deutlich zu stärken.“ Gemeinsam müssten Grüne, Linke und SPD jetzt nachholen, was in den vergangenen Legislaturperioden versäumt worden sei. Dazu gehörten die größte Fahrzeugbestellung in der Geschichte der BVG, deutliche Angebotserweiterungen sowie der Aufbau eines landeseigenen Fahrzeugpools bei der S-Bahn.

BVG mit neuem Fahrgastrekord

In Berlin wächst die Nachfrage im öffentliche Nahverkehr. Laut BVG-Chefin Nikutta haben die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe im Vorjahr erneut einen Fahrgastrekord aufgestellt. Nach vorläufigen Berechnungen haben Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen knapp 1,1 Milliarden Kunden transportiert. Das sind 3,2 Prozent als 2017 (1,06 Milliarden). Zum Vergleich: Im Jahr 2009, also vor zehn Jahren, lag die Fahrgastzahl noch bei 925 Millionen. „Das ist eine Riesensteigerung, aber wir leiden zunehmend unter Wachstumsschmerzen“, sagte Nikutta vor einer Anhörung in der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Mit den dort vorgestellten Zahlen machte die BVG-Chefin deutlich, dass das Unternehmen in allen Bereichen faktisch an seine Grenzen stößt. Von Bus, Tram und U-Bahn würden immer mehr Leistungen erbracht, ohne dass im gleichen Maße in Personal, Fahrzeuge und Infrastruktur investiert wurde. Das hat Folgen: Die Schere zwischen der vom Senat geforderten und der erbrachten Leistung geht immer weiter auseinander. Beispiel Bus: Für den Linienverkehr hat der Senat 2018 knapp 93 Millionen Nutzwagenkilometer bestellt, gefahren wurden tatsächlich aber nur 91,5 Millionen Kilometer. Das waren zwar immer noch rund 400.000 Kilometer mehr als 2017 – aber eben nicht das geforderte Plus von 1,3 Millionen Kilometern.

Vor allem fehlten die dafür benötigten Busfahrer. „Personalbedingt“ konnten 773.045 Kilometer bestellte Fahrleistung nicht erbracht werden, heißt es in der BVG-Präsentation für die Abgeordneten. Ein weiterer Grund für das Leistungsdefizit: Es fehlten einsatzfähige Busse (minus 402.712 Nutzkilometer). Deren Gesamtbestand hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Standen 2009 noch 1341 Fahrzeuge zur Verfügung, sind es aktuell 1430. Doch von denen war ein Teil gar nicht einsatzbereit. Zum einen, weil einige Modelle mit zusätzlichen Feinstaubfiltern ausgerüstet werden, zum anderen, weil die inzwischen in die Jahre gekommenen Doppeldecker aufwendig saniert werden, damit sie noch ein paar Jahre länger durchalten.

Dazu kommt: Die Busse werden im Straßenverkehr immer langsamer. Lag die Durchschnittsgeschwindigkeit 2009 bei 19,3 Stundenkilometer, ist sie im Vorjahr auf 17,9 Stundenkilometer gesunken. Ursachen dafür sind laut BVG die zunehmende Zahl von Baustellen, Demonstrationen und zugeparkten Busspuren. Damit die großen Gelben künftig schneller durch den Berliner Verkehr kommen, fordert das Unternehmen mindestens 100 Kilometer zusätzliche Busspuren. Auf bestehenden Sonderfahrstreifen sollen die zeitlichen Einschränkungen aufgehoben werden. Falschparker will die BVG dort, wie berichtet, künftig mit eigenen Fahrzeugen abschleppen.

Autor/Agentur: Thomas Fülling
Quelle: Berliner Morgenpost
Medium: Tageszeitung
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